Frieder Goeser

Trotze dem Widerstand

D er Stein trotzt dem stetigen Fluss des Wassers. Das Wasser trotzt der Härte des Steins. Steine, geborgen aus einem Flussbett. Die Stelle wird „Paradiso“ genannt. Es ist auch paradiesisch schön an diesem Ort. Michelangelo hat dort schon Steine gebrochen. Niemand weiß, wie lange die Steine dort gelegen, wie viel Winter sie erlebt, wie viel heiße Sommer sie genossen haben. Hitze, die sie an ihre Entstehungszeit erinnern mögen. Zweimal wurde das Ausgangsgestein, der sedimentierte Kalk, aufgekocht und zum feinkristallinen Marmor metamorphiert. Was für ein Prozess! Und dann kommen Menschen und haben das Bedürfnis diese Steine zu bergen, herum zu schleppen und ihnen auch noch eine neue Form zu geben. Was für eine Anmaßung!

Und trotzdem tut er es. Er hat das schiere Bedürfnis dazu und fragt sich oft dabei: Formt der Mensch den Stein oder formt der Stein den Menschen? Formwille. Ja, Mut gehört dazu. Mut, die Möglichkeit des Scheiterns zu überwinden. Die alte Form zu verändern, zu überformen. Dem Widerstand zu trotzen. Gegen die Härte des Steins, gegen die schwachen Sehnen und Muskeln, gegen die innere Vorstellung, denn oft möchte der Stein anders als das innere Auge. Da heißt es innerlich im Fluss zu bleiben. Veränderung zulassen. Der Stein führt einen – und oft weiß man nicht wohin.

So fließen die Formen über den Stein, wie das Wasser, das vielleicht schon jahrelang vorbeigeflossen ist: Rundungen entstehen, ein Spiel aus Konvex und Konkav, aber auch scharfe Kanten, die das Auge leiten. Texturen sprechen vom Bearbeitungsmittel: vom Spitzeisen, vom Zahneisen, vom flachen Meißel, vom Schleifstein - fließende Übergänge. Manchmal führt einen der Stein bis zur gegenständlichen Figur. Nicht immer lässt er einen dahin gelangen. Nicht immer ist es nötig dorthin zu kommen...

Und noch etwas gehört zu genau diesen Steinen: sie bewahren Gemeinschaft in sich. Entstanden in anleitender Gruppenarbeit, trägt jeder Stein nicht nur die eigene Handschrift, sondern auch das mit ansehen, miterleben, mitfühlen der anderen Kursteilnehmer. Ihnen gebührt mein Dank!

Frieder Goeser, Oktober 2008