Gerd Schnakenwinkel

Schlüsselbegriffe

Stimme, Anspruch, Stimmigkeit

M

it diesen drei Wörtern sind Schlüsselbegriffe für meine bild-künstlerische Arbeit genannt. Ich mache Collagen und Materialbilder. Der Anfang dazu wird immer dadurch gesetzt, dass irgendein Fundstück mit seiner eigentümlichen Stimme, seinem besonderen Ausdruck auf sich aufmerksam macht, mich anspricht. Dabei kann es sich um ein Papierstück handeln oder einen Stoffrest, auf der Straße zerfahrene Pappe, alte Metallbleche oder -stücke, Schriftzüge auf vergilbten Dokumenten, Holzstücke, Steinchen. Das erste, den Prozess initiierende Fundstück nimmt mich dann insofern in Anspruch, als sich in beanspruchendem Vorgehen nun weitere Materialien finden lassen müssen, die zu ihm passen und mit denen sich nach und nach ein durch den stimmlichen Charakter des Ausgangsstückes bestimmtes Bild formt. Die sehr unterschiedlichen Eigenarten der Fundstücke führen zu großer Vielgestaltigkeit der entstehenden Werke. Hilfsmittel bei der Gestaltung der Bilder sind Strukturacryl, Sand, wenige Farben. Der Schaffensprozess findet seinen Abschluss erst dann, wenn ein Zustand erreicht ist, bei dem sich das Bewusstsein der Stimmigkeit des Ganzen einstellt.

Mit diesem letzten Begriff wird nicht nur das entsprechende Zusammenwirken von persönlicher Struktur und Stimmen des Materials ausgedrückt. Hinzu kommt als wesentliches Element noch der Anspruch auf Berücksichtigung und Beachtung von Stimmen einer auf höherer Ebene angesiedelten Gesetzlichkeit. Diese Stimmen bestehen darauf, dass in den Dialog zwischen Seele und Material bestimmend und formgebend Werte der Harmonik und Ästhetik einfließen, es muss demnach zu einem Trialog kommen. Diese weiteren Stimmen wirken zwar auf das Tun in der Vermittlung durch die Seele, aber das gilt für die Stimmen des Materials schließlich auch. Die Seele, das Ich des Schaffenden ist also das Zentralorgan des künstlerischen Prozesses, die manuellen und materiellen Komponenten im Aktionsfeld spielen eine dienende Rolle.

Wie jeder weiß, der über Erfahrungen in diesem Bereich verfügt, vollziehen sich dieser Trialog und seine gegenständliche Dokumentation ganz vorherrschend im Unbewussten. Der Verstand dient nach dem erreichten Abschluss, dem Zustand der Stimmigkeit, nur der Reflexion, nimmt das Entstandene zumeist staunend zur Kenntnis.

Mit dem Begriff der Seele und ihrer Kennzeichnung als Hauptakteurin im Schaffensprozess wird zu all diesen allgemeinen Beschreibungen allerdings auf das ganz Spezifische und Persönliche von Aktion und Ergebnis hingewiesen. Welche Stimmen aus dem umfangreichen Sprachspektrum des Ausgangsmaterials und des im Prozess Hinzugezogenen ich höre, was davon also in mir Resonanz auslöst, welche Strukturen des allgemeinen Gesetzlichen mich geprägt haben und deshalb durch mich wirken und den Verlauf des Prozesses sowie das Ergebnis bestimmen, was mich in Anspruch nimmt und Ausdruck durch mich beansprucht, das ist einmalig.

Das Material, das mich dazu veranlasst, meinen individuellen Ton in diesem Konzert der großen Stimmigkeit bescheiden erklingen zu lassen und das mir zur Verwirklichung dient, ist ganz banal. Das Bewusstsein, dass während der Arbeit und im Ergebnis bei aller Subjektivität und bei der Profanität des Materiellen sich durch mich hindurchklingend trotzdem Allgemeines ausdrückt, gibt mir den Mut, das Geschaffene vorzuzeigen. Dabei hoffe ich darauf, dass die im Werk gebündelten Stimmen als Anspruch auf andere Menschen wirken, zur Resonanz führen, und dass damit eine weitere Ebene der Stimmigkeit aktiviert wird.